Als Psychiaterin beschäftige ich mich seit Jahren mit ADHS bei Erwachsenen – führe Abklärungen und Behandlungen durch. In den allermeisten Fällen sind es Menschen, die lebhaft erzählen, wie sie über Jahre gekämpft haben, so zu sein, wie man sein sollte. Sie haben versucht, den „normalen“ Anforderungen in der Gesellschaft, im Beruf, in der Familie und der Partnerschaft zu entsprechen. Sie haben sich trotz wiederkehrender Erschöpfungszustände immer wieder aufgerappelt und es nochmals versucht. Eine Kette von guten Vorsätzen und eine Kette von Misserfolgserlebnissen – und ein endloser Stress.
Irgendwann kommt das AHA-Erlebnis – Aha, ich habe ein ADHS – Aha, es gibt noch andere so wie ich – Aha, es gibt Hilfe und Unterstützung, so dass man sich besser fühlt mit sich selbst und der umgebenden Welt. Das A und O ist – in Zusammenarbeit mit Fachleuten – lernen zu verstehen, was denn anders ist. Und wie anders es ist; wie das Chaos in mir selbst und um mich herum entsteht und zu erklären ist.
Aha, das ist ja nicht einfach mein Ungenügen, sondern kommt davon, dass mein Hirn auf diese Weise funktioniert. Daraus resultieren Stärken und Schwächen, mit denen ich lernen kann, umzugehen. Was muss ich beachten, damit meine Selbstregulation für mich und nach aussen besser funktioniert. Auch verschiedene Medikamente und diverse Unterstützungsmassnahmen im Alltag kann ich nutzen, um erfolgreich meine Ziele anvisieren zu können.
Entwicklungsgeschichtlich gab es schon immer einen Prozentsatz an Menschen, die andere hervorstechende Eigenschaften aufweisen als die meisten anderen. Sie lassen sich anschaulich als „Jäger“ beschreiben: sie kontrollieren fortwährend die Umgebung, sie können sich völlig in eine Sache vertiefen, während ihnen die Zeit davonläuft. Sie sind flexibel und können ihre Strategie blitzartig ändern, sie können einen unglaublichen Energieschub in eine Sache einbringen, sie lieben akute Situationen und langweilen sich rasch bei gleichbleibenden Aufgaben. Sie begeben sich in Gefahren, denen „normale“ Menschen aus dem Weg gehen würden. Diese Jägereigenschaften sind – sofern sie kontruktiv genutzt werden können – eine wichtige Antwort zugunsten von Kreativität und Innovation in der Welt.
Es ist eine befriedigende Arbeit mit diesen ADHS‘lern. Es sind Menschen mit Herz. Offene, neugierige Menschen, unkonventionelle und kreative Menschen, die im privaten als auch öffentlichen Bereich viel Wertvolles beitragen.